Dylan Literaturliste

Bob Dylan – Die wichtigsten Bücher

In meiner Rowohlt-Monographie habe ich eine Auswahlbibliographie veröffentlicht, die einen ersten Überblick über die relevanten Publikationen verschaffen soll. Doch selbst diese Auswahl mag für manchen überwältigend wirken, gerade wenn es um die großen Biographien oder die vielen Veröffentlichungen zu Dylans Texten und seiner Musik geht. Ich hoffe, die folgenden persönlichen Einschätzungen helfen da weiter.

Bob Dylan

Lyrics 1962 – 2001. Übersetzt von Gisbert Haefs. Hamburg 2004.

Braucht man das Buch unbedingt? Kommt darauf an. Wer lediglich an den englischsprachigen Songtexten interessiert ist, kann dankenswerterweise die Texte der meisten Lieder auf Dylans Homepage (bobdylan.com) oder anderen Internetseiten finden. Wer sich dagegen für deutsche Übersetzungsvorschläge interessiert, sollte sich dieses Buch zulegen, ist es doch die aktuellste und umfangreichste Textsammlung. Daneben ist jedoch auch die 1987 bei Zweitausendeins erschienene Ausgabe (Songtexte 1962-1985) interessant – klar, viele neue Texte fehlen, doch die beiden Übersetzer dieser älteren Ausgabe, Carl Weissner und Walter Hartmann, verfolgen einen anderen Ansatz als die neue Hamburger Edition: Sie versuchen Nachdichtungen zu produzieren, die sich – wie die Originale – auch reimen sollen, während Gisbert Haefs in der 2004 Ausgabe angehalten wurde, möglichst textnah zu übersetzen.

Chronicles. Volume One. New York 2004 (dt. Hamburg 2004).

Unbedingt zu empfehlen. Als der Band 2004 erschien, waren die Erwartungen durchaus gemischt. Sein erstes Buch, die künstlerisch überanstrengte Beatdichtung Tarantula, ließ nichts Gutes erwarten. (Dylan machte sich übrigens über die Qualität von Tarantula keine Illusionen – siehe dazu seine Ausführungen im Newsweek-Interview von 1968 – und veröffentlichte das Buch wahrscheinlich nur, um den zahlreichen Raubdrucken ein Ende zu bereiten.)

Von Chronicles waren Leser wie Kritiker jedenfalls angenehm überrascht. Spannend geschrieben, stilistisch durchaus originell wenn auch manchmal überkandidelt, werden hier einige Episoden aus Bob Dylans Vergangenheit (re)-konstruiert. Dies sind keine naiven Erinnerungsergüsse, sondern wohldurchdachte Geschichten – quasi eine Fortsetzung seines kontinuierlichen Imageumbaus, den er ansonsten hauptsächlich in seinen Filmen und Interviews betreibt. In Chronicles wird der Kunstfigur „Bob Dylan” wieder einmal eine neue Vergangenheit zu-geschrieben, hier wird weiter an der Legende gearbeitet. Und dabei werden auch ganz bewusst fiktionale Elemente eingesetzt, wie Scott Warmuth („Bob Charlatan. Deconstructing Dylan’s Chronicles: Volume One.” In: New Haven Review 6, Mai 2010, S.70–83) nachgewiesen hat.

All das ist sehr amüsant zu lesen und es ließe sich sicher lange darüber diskutieren, bei welchen Stellen man sich ein Augenzwinkern des Autors hinzudenken muss. Man schaue sich nur einmal die Beschreibung einiger Figuren an, die in dem Buch auftreten. Dylan weiß über niemanden (!) etwas Schlechtes zu sagen, selbst nicht über seinen Ex-Manager Albert Grossman, mit dem er bis zu dessen Lebensende in gerichtliche Auseinandersetzungen verwickelt war.

Cott, Jonathan (Hg.): Bob Dylan. The Essential Interviews. New York 2006.

Die zur Zeit umfangreichste (464 Seiten) und aktuellste Sammlung. Spannend zu lesen und sicherlich so wichtig wie die Chronicles. Aber eben doch nur ein minimaler Ausschnitt aus den über 200 Interviews, die Dylan bisher gegeben hat. Was wirklich fehlt, ist eine Gesamtausgabe.

Die Biographien

Anthony Scaduto: Bob Dylan. Eine indiskrete Biografie. Frankfurt 1979. (Original 1971)

Die erste Biographie. Sie hat den frühen Dylan-Fans zum ersten Mal einen biographischen und kulturellen Kontext geliefert. Unheimlich einflussreich für die Rezeption und das Verständnis Dylans in Deutschland (und natürlich auch in den USA). Auch heute noch wichtig wegen der Detailfreudigkeit und der Frische der Quellen – Scaduto beschreibt auf über 400 Seiten Dylans Leben und künstlerische Produktion, aber eben beschränkt auf die fünfziger und sechziger Jahre. Der bewusst hippe Umgangston ist heute allerdings manchmal ein bisschen schmerzhaft zu lesen.

Interessant ist das Verhältnis des Autors zu dem Star: Hat sich eigentlich nie jemand gewundert, wie es Scaduto geschafft hat mit all diesen Freunden und Bekannten Dylans zu sprechen? Joan Baez davon zu überzeugen, dass sie ihm ein kapitellanges Interview über ihre Beziehung zu Dylan gewährt? Dass Dylan bereit war, mit ihm mehrere Stunden zu reden?

Der Schriftsteller Mason Hoffenberg, ein Bekannter Dylans aus den sechziger Jahren, behauptet jedenfalls in einem Interview (Playboy, Nov 1973), dass dieses Buch eine von Dylan in Auftrag gegebene Biographie ist. Und das scheint gar nicht so abwegig. Der erste wichtige runde Geburtstag stand an (Dylan wurde 1971 dreißig Jahre alt) und es war zu befürchten, dass manche Journalisten auf die Idee kommen könnten zu diesem Termin eine Lebensbeschreibung zu veröffentlichen – Toby Thompson hatte mit seinen biographischen Artikeln im März 1969 in der Village Voice (später veröffentlicht als Positively Main Street. An Unorthodox View of Bob Dylan. New York 1971) ja bereits einen Anfang gemacht. Direkt zu verhindern war so etwas natürlich nicht, aber man konnte der Sache mit einer eigenen Biographie aus Dylans Lager zuvorkommen.

Robert Shelton: No Direction Home. The Life and Music of Bob Dylan. New York 1986 (dt. 1988). Dt. Neuausgabe Hamburg 2011.

Die Biographie eines Freundes. Shelton war nicht nur dabei als Dylans Karriere begann, er hat sie auch maßgeblich unterstützt. Mit seinem Artikel in der New York Times beeindruckte er den legendären Produzenten John Hammond, der Dylan zu Columbia holte. Shelton blieb lange Zeit mit Dylan befreundet und ist ein erstklassiger Augenzeuge der sechziger Jahre. Besonders interessant ist sein Bericht von der Tournee Dylans mit der Band 1965 und 1966. Für die Zeit bis 1966 ist das Buch enorm wichtig, während jedoch die siebziger und die frühen achtziger Jahre in der Originalausgabe nur kurz besichtigt werden: 410 Seiten bis 1971. 90 Seiten für die Zeit 1971-1985.

Die überarbeitete deutsche Neuausgabe von 2011 beschränkt sich auf die Zeit bis 1978 und enthält “bisher unveröffentlichte Passagen des Originalmanuskripts, aktualisierte Fußnoten, zahlreiche Fotos der wichtigsten Lebensstationen und nicht zuletzt eine aktualisierte Diskografie” (Klappentext).

Spitz, Bob: Dylan. A Biography. New York 1988.

Die ungeliebte Biographie. Scaduto schrieb sein Buch mit Dylans Unterstützung, Shelton war jahrelang mit Dylan befreundet – so halfen beide seinen Mythos zu zementieren. Anders Spitz: Der ist gerade an dem Schmutz interessiert, der so gerne unter den Teppich gekehrt wird. Also Sex, Drugs und Anekdoten über Dylan, die ihn in einem negativen Licht erscheinen lassen. Mal was anderes.

Heylin, Clinton: Bob Dylan. Behind the Shades. The Biography. Take Two. London 2000 (Original 1991). Überarbeitete Neuausgabe London 2011.

Die beste Biographie. Manchen geht Heylins Überheblichkeit auf die Nerven, andere mögen seine mitunter exzentrische Meinungen zu Dylans Werk nicht. Damit kann ich leben – mich stören aber die fehlenden Nachweise seiner Zitate oder manche reichlich seltsam anmutenden Informationen. Ein markantes Beispiel: Nach Heylin soll Abram Zimmerman seinen Sohn 1959 für ein paar Wochen in ein Erziehungsheim gesteckt haben (Seite 28, London 2000). Woher weiß er das? Und wie soll der Leser ohne Quellenangabe einschätzen können, ob die Information glaubwürdig ist?

Nichtsdestotrotz bleibt es die beste Biographie. Heylin ist wirklich ein Dylan Experte – Mitglied der mittlerweile legendären Mannschaft des Dylan-Informationsbüros „Wanted Man”, die mit The Telegraph das beste Dylan-Fanzine publizierte, hatte er schon früh Zugang zu umfangreichem Informationsmaterial. Dies kommt der Biographie in zweierlei Hinsicht zugute: Schon in der ersten Auflage von 1991 bemüht sich Heylin von der üblichen Fokussierung auf die sechziger Jahre wegzukommen – stattdessen berücksichtigt er alle lebensgeschichtlichen Phasen gleichermaßen. Zweitens greift er nicht nur indirekt auf die vielen Telegraph-Interviews als Hintergrundmaterial zurück, sondern lässt die Beteiligten ausführlich selbst zu Wort kommen. Heylin ist sozusagen für den Hauptstrang der Erzählung zuständig, während die Leute aus Dylans Umfeld das Buch mit ihren individuellen Perspektiven bereichern. Dadurch entsteht ein komplexeres Dylan-Bild als bei konventionellen Biographien üblich und auch ein detaillierteres – immerhin umfasst die Neuausgabe über 900 Seiten.

Sounes, Howard: Down the Highway. The Life of Bob Dylan. New York 2001. Neuausgabe 2011.

Die verlässlichste Biographie. Sounes ist kein Hyper-Dylan-Spezialist wie Heylin, aber als guter Journalist hat er Daten und Fakten gecheckt und man hat den Eindruck, dass man sich auf seine Angaben verlassen kann. Er liefert auch Quellenangaben – man weiß also, woher er seine Informationen hat. Darüber hinaus hat er auch einiges Neues herausbekommen, z.B. dass Dylan ein zweites Mal verheiratet war. Und er hat es geschafft mit Leuten zu reden, die sich zuvor nicht geäußert hatten, wie z.B. mit Sally Grossman, der Frau von Dylans Ex-Manager.

Dennis McDougal: Dylan. The Biography. New York 2014.

Die Showbiz-Biographie. Süffig geschrieben, amüsant und respektlos, aber oft oberflächlich. McDougal konzentriert sich auf die Rock-Star-Aspekte in Dylans Leben: Frauengeschichten, Drogen und Alkohol und natürlich – Geld. Und das ist genau das Hauptproblem dieses Buches: Man erfährt nicht so recht, was Dylan eigentlich so besonders macht. Eine Biographie über Mick Jagger liest sich sicherlich ähnlich.

Ansonsten findet man relativ wenig über den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext, auch nicht viel über Dylans Werk – manchmal liegt McDougal mit seinen Einschätzungen daneben (bei Street Legal und At Budokan zum Beispiel), aber manchmal trifft er auch den Nagel auf den Kopf (über World Gone Wrong: „Every cut on the LP was a horror story.“). Er findet aber immerhin Platz, um ein wenig auf Dylans Rezeption einzugehen (andere Biographien, erste wissenschaftliche Auseinandersetzungen). Man erfährt durchaus hier und da auch Neues, aber da es keine Quellenangaben gibt, ist es schwer einzuschätzen, wie vertrauenswürdig diese Informationen wirklich sind. Das ist natürlich immer ein Problem bei Biographien, wenn ein Teil der Informanten anonym bleiben will.

Wer gerne Klatschgeschichten liest und einen Eindruck vom amerikanischen Entertainment-Business bekommen möchte, für den ist diese Biographie genau richtig.

Ian Bell: Once upon a Time. The Lives of Bob Dylan. Edinburgh 2012–2013. 2 Bd.

Die längste Biographie. Mit über 1100 Seiten hat es Ian Bell geschafft, Clinton Heylin zu übertrumpfen. Bell bietet viel kulturellen Kontext und kennt sich mit dem zugänglichen Material über Dylan gut aus. Er schreibt aus der Perspektive eines links-angehauchten, religionskritischen Journalisten, dem der Dylan der sechziger Jahre am besten gefällt – und wer diese Position teilt, wird mit Bells künstlerischen und politischen Bewertungen keine Probleme haben. Dementsprechend kommt so z. B. Dylans christliche Phase ziemlich schlecht weg. Das ist natürlich völlig okay, man muss nicht alles toll finden, was Dylan produziert. Mich stört etwas ganz anderes an dem Buch: Es bringt für den echten Dylan-Fan nichts wirklich Neues. Bells Darstellung basiert auf Material, das allgemein bekannt ist, und nicht auf eigene Nachforschungen. Und damit unterscheidet sie sich von allen anderen vorangegangenen Biographien. Wer also noch nicht so viel über Dylan weiß und auf der Suche nach einer aktuellen und sehr ausführlichen Behandlung von Leben und Werk ist und zudem noch Bells ästhetische und politische Ansichten teilt, dem wird dieses Buch gefallen.

Memoiren

Rotolo, Suze: A Freewheelin’ Time. A Memoir of Greenwich Village in the Sixties. New York 2008 (Als sich die Zeiten zu ändern begannen. Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern. Berlin 2010).

Suze Rotolo war Dylans Freundin von 1961 bis 1964. Sie lernte Dylan kennen als er noch ein unbekannter Folksänger war, erlebte seinen kometenhaften Aufstieg und trennte sich von ihm, als er der unumstrittene Star der Folkszene war. Klarer Fall, dass man das lesen muss. Man bekommt ein besseres Gefühl für die Zeit und man lernt auch Suze Rotolo ein wenig kennen, die Dylan schließlich stark beeinflusst hat. Und natürlich gibt’s auch neue Infos über Dylan selbst.

Dabei ist es jedoch keineswegs ein „tell-all” Buch. Die Autorin ist sehr zurückhaltend, wenn es um wirklich private Details geht. Das Buch umfasst 369 Seiten, aber die Geschichte ihrer Abtreibung von Dylans Baby wird auf einer einzigen Seite abgehandelt. Es finden sich nur wenige kritische Worte über ihren Ex-Freund (und die kann man auf Seite 286, New York 2008, nachlesen).

Baez, Joan: And a Voice to Sing with. A Memoir. New York 1987 (We Shall Overcome. Mein Leben. Bergisch Gladbach 1994).

So gut wie bei Suze kommt Dylan bei Joan Baez nicht weg. Sie schreibt über ihre Romanze von 1963 bis 1965, über die Rolling-Thunder-Tour Mitte der Siebziger und über die chaotische Europa-Tournee von 1984 – und ihre Berichte geben ein weitaus komplexeres Bild.

Man sollte parallel zu Joan Baez’ Memoiren unbedingt das sorgfältig recherchierte Buch von David Hajdu lesen (Positively 4th Street. The Lives and Times of Joan Baez, Bob Dylan, Mimi Baez Farina, and Richard Farina. New York 2001). Hajdu liefert hier u.a. eine kritische Familiensaga der Baez Familie bis 1966 mit vielen interessanten Hintergrundinformationen und auch Korrekturen von Baez’ Memoiren. Er hatte die Möglichkeit neben Joan auch ihre Schwester Mimi Baez ausführlich zu interviewen und so gibt es hier viele neue Details aus dieser Zeit – dabei bleibt Hajdu immer kritisch und gibt auch seine Quellen an. Dass er allerdings Autor und Musiker Richard Farina – gerade im Vergleich zu Dylan – so hochjubelt, ist wenig überzeugend.

Maymudes, Victor and Jacob: Another Side of Bob Dylan. A Personal History on the Road and off the Tracks. New York 2014.

Das hätte ein tolles Buch werden können, wenn Victor Maymudes nicht vor der Fertigstellung gestorben wäre. Maymudes war Dylans Tourmanager in den sechziger Jahren und dann wieder von Mitte der Achtziger bis in die Neunziger. Er gehörte also zeitweise zum engsten Kreis um Dylan und hat viele wichtige biographische Ereignisse direkt miterlebt. Sein Sohn Jacob hat nun versucht, aus dem Material das Beste zu machen. Und tatsächlich finden wir manche neue Informationen. Meistens geht es hier eher um (allerdings aufschlussreiche) Kleinigkeiten wie Maymudes Darstellung von Dylans Unfall 1966, Saras Hobbys in den Siebzigern (Mythologie, Heilkräuter, mystischer Feminismus) oder die Kontroverse um das Jubiläumskonzert im Oktober 1992 (ursprünglich als Wohltätigkeitskonzert geplant, änderte Dylan seine Meinung später und verdiente gutes Geld damit). Neues gibt es auch im Kapitel über die Never-ending-Tour, in dem wir einen Einblick in den Tourneealltag bekommen. Höhepunkt des Buches für die meisten Leser ist aber sicherlich das Kapitel über das erste Treffen Dylans mit den Beatles. Der Journalist Al Aronowitz, der als Einziger neben Maymudes dabei war, hatte davon zwar schon berichtet (Bob Dylan and The Beatles. Bloomington 2004), aber es ist natürlich spannend, es aus einer anderen Perspektive beschrieben zu sehen.

Shain, Britta Lee: Seeing the real you at last. Life and love on the road with Bob Dylan. London 2016.

Britta Lee Shain war Teil von Dylans Entourage von 1986 bis 1987. Zunächst nur als Freundin von Dylans Tourmanager, dann als Dylans Gast bei seiner Europa-Tour und schließlich auch recht kurz als Dylans Lover.

Zwei Aspekte machen das Buch lesenswert: Einmal gibt es einen begrenzten Einblick in das tägliche Leben Dylans in den späten Achtzigern (interessant z. B., dass er sich zu dieser Zeit gerne alte Filme im Allgemeinen und im Besonderen die Elvis-Schinken anschaut). Zum anderen beschreibt es anschaulich, was es heißt, zu Dylans Entourage zu gehören und mit welcher Ehrfurcht er selbst in dem mit Stars übersäten Los Angeles behandelt wird. Kritische Distanz oder Ironie gegenüber dem ganzen Starrummel sucht man auch 30 Jahre später vergeblich.

Robertson, Robbie: Testimony. New York 2016.

Klar ist das Buch lesenswert für Dylan-Fans. Robbie Robertson war immerhin der Lead-Gitarrist von Dylans Begleitband Mitte der sechziger Jahre (damals nannten sie sich noch The Hawks). Sie spielten mit ihm The Basement Tapes ein, waren bei den Aufnahmen zu Planet Waves dabei und gingen mit ihm auf seine Comeback-Tour 1974. Und natürlich schreibt Robertson über all diese Ereignisse, nur… – er tut dies seltsam distanziert und oft oberflächlich, mit wenigen Details: eine Seite über Dylans Hochzeit, bei der er immerhin Trauzeuge war, eine Seite über den Isle-of-Wight-Auftritt und eine Seite über die Aufnahmen von Planet Waves. Obwohl Robertson viel Zeit mit Dylan verbracht hat, erfahren wir kaum Persönliches über ihn (mal abgesehen von einer Anekdote über Dylans Paranoia auf Seite 287). Keine Details über Dylans Haus in Woodstock, über seine Beziehung zu seiner Frau oder seinem Manager, keine Details über die Gespräche, die er mit Dylan geführt hat, nichts zu Dylans Ansichten über Gott und die Welt in dieser Zeit. Insofern ist das Buch eine Enttäuschung. Das heißt natürlich nicht, dass es sich nicht lohnt, die Memoiren zu lesen. Es ist schon interessant zu sehen, wie Robertson als Augenzeuge diese Zeit beschreibt und man erfährt auch nebenbei durchaus Neues über Dylans Leben. Und natürlich ist das Buch unabdingbar für alle, die The Band mögen.

Zum Werk allgemein

Anfangen sollte man mit Olof Björners hervorragender Internetseite (bjoerner.com), die ganz umsonst viele Infos zu Dylans Werk bietet und regelmäßig aktualisiert wird. Weiter geht’s mit Büchern: Einen sehr guten und auch aktuellen Überblick über das Gesamtwerk gibt Heinrich Detering (Bob Dylan. Stuttgart 2009. Dritte erweiterte Auflage). Wer dann noch viel, viel mehr wissen möchte, sollte sich den Klassiker der Dylan Interpretation ansehen, nämlich Michael Grays Song and Dance Man III (The Art of Bob Dylan. London 2000), dessen erste Auflage bereits Anfang der siebziger Jahre erschien. Im Vordergrund stehen hier Dylans Texte, die Gray mit einer ganzen Reihe von Traditionen in Verbindung bringt – vom Blues über klassische Literatur bis hin zur Bibel. Doch der Leser sei gewarnt: Die dritte und letzte Auflage umfasst mehr als 900 Seiten. – Eine hochintelligente, rein literaturbezogene Interpretation liefert der ehemalige Professor of Poetry in Oxford, Sir Christopher Ricks (Dylan’s Visions of Sin. London 2003).

Wem das nun alles zu akademisch und zu textorientiert ist und wer lieber mehr über die Musik und die Konzerte erfahren will, dem seien die Bücher von Paul Williams ans Herz gelegt. Williams ist ein begeisterter (und eher unkritischer) Fan und er schreibt spannend – sein Enthusiasmus wirkt ansteckend, nach der Lektüre möchte man sich am liebsten sofort wieder Dylans Aufnahmen anhören. Anders als beispielsweise Michael Gray, Greil Marcus oder Clinton Heylin kann er sich für jede Phase in Dylans Karriere erwärmen. Dankenswerterweise gibt es Paul Williams’ drei Bände Performing Artist auch auf deutsch beim Palmyra Verlag (Heidelberg 2005-2006). Wer sich nicht nur für die Musik allgemein, sondern ganz speziell für Dylans Gesang interessiert, dem sei die musikwissenschaftliche Analyse von Richard Klein (My Name It Is Nothin’. Bob Dylan: Nicht Pop. Nicht Kunst. Berlin 2006) empfohlen.

Nun fehlt nur noch Clinton Heylin. Nicht unumstritten wegen seiner manchmal eigenwilligen Ansichten über bestimmte Alben oder Songs, dabei jedoch immer wohlinformiert. In Bob Dylan: The Recording Sessions 1960 – 1994 (New York 1995) thematisiert er chronologisch Dylans Alben, wobei er in vielen Fällen die Unterlagen der Plattenfirma heranziehen konnte. In seinen neuen Büchern Revolution in the Air: The Songs of Bob Dylan 1957 – 1973 (Chicago 2009) und Still on the Road: The Songs of Bob Dylan 1974 – 2006 (Chicago 2010) geht er chronologisch die Lieder durch. Hier kann man sich auf die Schnelle über einen bestimmten Song orientieren, mit interessanten Infos dazu, einschließlich Dylans Kommentare aus seinen Interviews. Und natürlich ist Heylin mit seiner Meinung nicht zurückhaltend – aber die muss man ja nicht immer teilen.

Seit 2011 sind eine Reihe neuer Bücher über Dylan erschienen. Zwei davon fand ich besonders interessant. In seinem Buch Dylan Goes Electric – Newport, Seeger, Dylan, and the Night that Split the Sixties (New York 2015) liefert Elijah Wald den bisher besten Bericht über Dylans kontroversen Auftritt beim Newport Folk Festival 1965. Unbedingt empfehlenswert! Das andere Buch beschäftigt sich mit dem Thema Politik, das zwar – gerade in Hinblick auf die frühen sechziger Jahre – häufig erwähnt, aber selten ausführlich behandelt wurde. In The Political World of Bob Dylan (New York 2015) wagen zwei Autoren eine Darstellung der politischen Überzeugungen Dylans. Man mag nicht mit allem übereinstimmen, aber es ist auf jeden Fall eine anregende Lektüre.